Ansichtssache

Hier stelle ich von Zeit zu Zeit etwas ein, was mich aktuell beschäftigt

19.09.2025 - Antisemitismus und Feindesliebe

Ich bewundere Menschen wie Margot Friedländer und Anita Lasker-Wallfisch, beide Überlebende von Nazi-Terror und Konzentrationslagern. Beide sind auf Deutschland, auf die Menschen in Deutschland zugegangen. Anita Lasker-Wallfisch sagte einmal in etwa Folgendes: „Ich konnte nun in England sitzen und die Deutschen ewig hassen oder nach Deutschland gehen und von mir erzählen.“

Auch Margot Friedländer zog es in ein verändertes Deutschland zurück, wo sie von sich erzählte – und die Menschen hörten ihr zu, wie auch anderen Überlebenden des Nazi-Regimes. Beiden wurde große Ehre und Bewunderung zuteil. Derart ausgestattet, konnten sie den noch immer vorhandenen Antisemitismus verkraften in der Hoffnung, dass dieser in Deutschland auf Dauer keinen Nährboden habe.

Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt und wir, die Nachgeborenen müssen uns dem stellen.

Wie aber sieht es aus mit dem Zusammenleben mit Menschen, die offen ihren Antisemitismus leben und Hass und Feindseligkeit verbreiten? Sind wir verpflichtet, diese zu lieben, wie Christus es von uns verlangt? Müssen wir ihnen verzeihen? Ich glaube nicht, denn hier handelt es sich nicht um das Verzeihen von Vergangenem, hier handelt es sich um die Gegenwart und um die Zukunft, in die ich heute mit Sorge blicke.

Und Christus? Er hat die Händler aus dem Tempel verjagt und nicht gesagt: „Ach lasst sie mal, die wollen ja auch leben und ihr Geld verdienen. Uns Juden ist der Tempel zwar heilig, aber jene glauben eben nicht daran und das muss man tolerieren.“ Christus, der mit Steuereintreibern und Zöllnern sprach, die als Vertreter einer Staatsmacht das Volk drangsalierten, hatte für die Händler im Tempel kein Verständnis. Er hat nicht gefragt und nicht diskutiert, er hat sie hinausgeworfen. Was bedeutet das für mich hier und heute? Wo ist Toleranz angesagt und wo Kompromisslosigkeit? Christus macht es einem aber auch wirklich nicht leicht!

Und dann der große französische Philosoph Voltaire, der gesagt haben soll: „Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie diese frei äußern dürfen.“ Das muss man erst mal verkraften! Redefreiheit anmahnen, sie verteidigen, das kann ich mir schon vorstellen. Und dass kein Leben ist in einem Staat, der Meinungsfreiheit verbietet, sehen wir in Autokraten-Staaten. Aber mein Leben geben für die Meinungsfreiheit eines anderen, dessen Meinung ich nicht teile? Ich weiß nicht, ob das wahre Größe ist oder Naivität. Ich jedenfalls fühle mich dazu nicht verpflichtet. Voltaire mag es mir verzeihen.

Lügen, Hass und Hetze, Verunglimpfung und Morddrohungen sind keine Meinungsäußerungen, sondern eine Bedrohung unserer Demokratie. Antisemitismus ist nur ein Seismograph für das, was uns erwartet, wenn wir dies tolerieren. Dann ist es bald vorbei mit der Freiheit und der Vielfalt.

Als Autorin schlüpfe ich so manches Mal in die Schuhe anderer und gewinne eine andere Sichtweise auf die Dinge. Hier aber verweigern sich meine Füße, mein Herz und mein Verstand.

Das Einzige, was verbleibt, ist meine ausgestreckte Hand, meine Bereitschaft zum Dialog. Allerdings ohne Hass und Hetze, ohne Bedrohung und Beleidigungen. Dann können wir reden, das ist mein Angebot.

Das mag wenig sein, doch für mich ist es das äußerste, und so gesehen ist es doch viel!

13.09.2025 - Lebkuchen und Weihnachtsfreude

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen: es wird immer zeitiger, dass in den Geschäften das Weihnachtsgebäck zu haben ist. Ich will nicht übertreiben und behaupten, kaum sind die letzten Osterhasen verschwunden, tauchen die ersten Weihnachtsmänner auf. So fühlt es sich aber fast an.

Nun kann man sich darüber aufregen oder es ganz anders sehen. Ich sehe es so:

Wenn man aus dem Urlaub kommt, zeigt man erst mal die Fotos herum, schwärmt von der kleinen Bucht in Kroatien, dem blauen Wasser in Griechenland, dem berauschenden Anblick der Almen, dem Duft von Lavendel, dem Donnern eines Wasserfalls, dem unglaublichen Sonnenuntergang. Jeder kann das nachvollziehen, jeder weiß Bescheid, jeder hat so etwas auch schon mal erlebt, ob in der Lüneburger Heide oder auf den Malediven.

Dieses Schwelgen in Erinnerungen ist nichts anderes als die Verlängerung der Urlaubszeit. Warum also sollten wir nicht auch die Weihnachtszeit verlängern, und zwar nach vorn!

Wenn man es richtig anstellt, verlängert man damit die Freude auf das Fest und auf alles, was man damit verbindet: Lebkuchen und Spekulatius, Punsch und Lichterglanz, Päckchenpacken und Heimlichkeiten, Tannenduft und Kerzenschein. Das Christkind feiert Geburtstag und alle feiern mit.

Und die Himmlischen Heerscharen verkünden Frieden auf Erden allen Menschen, die guten Willens sind. Wenn man es so betrachtet, sollte das ganze Jahr Weihnachten sein.

24.08.2025 - Äpfel mit Charakter

Im Herbst vergangenen Jahres waren wir zu Gast bei zwei liebenswerten Gartenfrauen. Nach einem wunderschönen Nachmittag wurden wir zum Abschied reich beschenkt mit einem großen Korb Äpfel, wie man sie niemals in Geschäften zu kaufen bekommt: Äpfel mit Charakter. Dies bezieht sich nicht allein auf den Geschmack, so wie man von einem Wein oder einem Käse mit Charakter spricht. Der Charakter dieser Äpfel bezieht sich auch auf deren äußere Erscheinung.
Ich weiß nicht, ob Sie das kennen, wenn man in einer Illustrierten blättert und Frauen etwa beim Filmball posieren sieht. Ich denke dann, dass diese wahrscheinlich schönen Frauen alle aussehen wie aus Plastik. Schade eigentlich, denn sicher hat jede ihr ganz eigenes Gesicht mit Falten, Flecken und Unebenheiten. Alles weggeschminkt und die Fotos noch bearbeitet. Selbst Barbiepuppen sehen manchmal lebendiger aus. Ich verstehe nicht, warum solche oftmals sehr erfolgreichen Frauen unbedingt alle gleich aussehen wollen. Volle Lippen, volles Haar, lockig wallend bis an die Kniekehlen, große Augen mit angeklebten Wimpern, Dekolleté bis zum Bauchnabel und auch sonst viel Haut – makellos wie alles an ihr. 
Heutzutage unterliegen auch die Äpfel einem Schönheitsideal und sollen aussehen wie gemalt. Na, ist die Menschheit noch gescheit!??
Wenn ich mir diesen Korb mit Äpfeln ansehe, bin ich gespannt, was mich erwartet: kleine und große Gesichter lächeln mich verheißungsvoll an. Mit Unebenheiten, kleinen Flecken, schorfigen Stellen und den unterschiedlichsten Farben von gelb bis hellgelb, grün oder rot – und keiner gleicht dem anderen. Von verschiedenen Bäumen sind sie, doch auch gleiche Sorten sind nicht immer gleich.
Manch einer schmeckt wie Bratapfel, mancher ist mehlig, andere wieder saftig. Und ob sie süß schmecken oder sauer, das sieht man ihnen nicht an. Es bleibt spannend. Auch das Schälen macht Spaß, weil diese Äpfel natürlich nicht mit dieser Wachsschicht überzogen sind, die ihnen wohl ewige Jugend bescheren soll. Und da sie selbstverständlich auch nicht gespritzt sind, kann man sie getrost ganz dünn schälen. „Unter der Schale sitzt das Beste“, sagten die Großeltern. Vielleicht stimmte es, aber vielleicht war das nur aus Gründen der Sparsamkeit.
In Geschichten von Früher liest man manchmal, dass ein Kind zu Weihnachten einen Apfel geschenkt bekam und vielleicht noch eine Handvoll Nüsse. Schlechte Zeiten, doch auch Zeiten, in denen man für einen Apfel dankbar sein konnte. Und, na klar, aß man auch den Griebsch noch mit. Als ich ein Kind war, hatten wir immer genügend Äpfel, da sollte ich das Kerngehäuse eigentlich nicht mit essen. Aber ich wollte jeden Apfel ganz und gar und bis auf den kleinsten Rest auskosten.
In meiner Schulzeit dann habe ich in Papierkörben angebissene Äpfel gesehen und weggeworfene Pausenbrote. Man muss keine Notzeiten erlebt haben, um zu wissen, dass Brot etwas Heiliges ist. Und auch ein Apfel ist etwas, für das man dankbar sein kann, auch wenn er nicht aussieht wie aus Plastik sondern Flecken und Schorf hat und vielleicht sogar etwas schrumpelig ist.
Ebenso wie Menschen haben auch Äpfel ihren ganz eigenen, geheimnisvollen Charakter. Ich bin jetzt schon gespannt auf die neue Ernte der beiden Apfelfrauen.